Thema
Was ist das Neue am „Neuen Wohnen“ — in Thüringen, Deutschland und Europa?
Wohnen betrifft uns alle – als Alltäglichkeit, als gebaute Realität oder als politischer Begriff. Um eine gemeinsame Diskussion um das Wohnen anzustoßen und zu vertiefen lud die Stiftung Baukultur Thüringen alle Beteiligten die zum Thema beitragen zur ersten Wohnbaukonferenz: von Akteuren des Bau- und Immobilienwesens, Planungs- und Ingenieurwesens bis hin zu Vertretern aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Banken- und Sozialwesen.
Da das Wohnungswesen und der Wohnungsbau vor großen Veränderungen stehen und gleichzeitig Rückhalt im Gewohnten brauchen, ist diese Diskussion notwendig. Die gebaute Wirklichkeit des Wohnens ist immer ein gestalteter Raum, der sich vom privaten Innenraum über die Nachbarschaft und das Quartier bis hin zum Dorf- und Stadtraum erstreckt.
Die erste Wohnbaukonferenz bereicherte in drei Themenfeldern den Thüringer Diskurs. Unter den Begriffen Zusammen, Komplex und Digital wurde gefragt: Was ist der aktuelle Stand an Lösungsansätzen, aber auch an gebauten und funktionierenden Beispielen? Welche sozialen, ökologischen und technischen Herausforderungen revolutionieren aktuell das Wohnen oder zeichnen sich als Umbruch ab?
Eine Mischung aus internationalen, nationalen und Thüringer Referentinnen und Referenten eröffnete mit Impulsvorträgen drei Gesprächsrunden. In den anschließenden Diskussionsrunden wurde nach der Bedeutung der Themen für Thüringen gefragt.
Die Wohnbaukonferenz wollte so erste Schwerpunkte für die zukünftige Arbeit der „Plattform Wohndebatte“ setzen und Impulse für die Folgeveranstaltungen 2020 und 2021 geben.
Termin
Montag, 25. November 2019, 10–18 Uhr (Einlass ab 9:30 Uhr)
Veranstaltungsort
Seminargebäude der Weimarhalle, UNESCO-Platz 1, 99423 Weimar
Veranstalterin
Stiftung Baukultur Thüringen
Sprachen
Deutsch, teilweise Englisch
Teilnahmegebühr
keine
Anerkennung als Fortbildung
Die Veranstaltung wird durch die Architektenkammer Thüringen mit 8 Fortbildungsstunden und durch die Ingenieurkammer Thüringen mit 4 Weiterbildungsstunden anerkannt.
Anmeldeschluss
Montag, 18. November 2019
Kontakt
Stiftung Baukultur Thüringen
Projektleitung Plattform Wohndebatte
Dipl.-Ing. Ulla Schauber
Telefon +49 (0)3643 772 016
schauber@baukultur-thueringen.de
Vorträge, Referentinnen und Referenten
Alexander Hagner
gaupenraub +/-, Wien
Alexander Hagner, geboren in Deutschland, studierte nach seiner abgeschlossenen Tischlerlehre Architektur an der Universität für angewandte Kunst in Wien. 1999 Gründung des Architekturbüros gaupenraub+/- gemeinsam mit Ulrike Schartner. 2015 Aufnahme in die Österreichische Zentralvereinigung der ArchitektInnen. Externe Lehraufträge und Gastprofessuren an verschiedenen Universitäten. Seit 2016 Stiftungsprofessor für Soziales Bauen an der Architekturfakultät der FH Kärnten. Seit rund 15 Jahren zunehmendes Engagement in Projekten für benachteiligte Menschen.
Vortrag / Input 1: Soziabilität & Wohnungsbau
Alexander Hagner, gaupenraub +/-, Wien
Für Menschen, die wenig bis gar kein Geld für das Wohnen zur Verfügung haben, verschärft sich die aktuelle Lage dramatisch. Nicht nur, weil diese Gruppe größer wird und somit die Nachfrage nach günstigstem Wohnraum steigt, sondern auch weil gleichzeitig vor allem in größeren Ballungszentren das Angebot dank den (an sich begrüßenswerten) Bemühungen, Substandard-Unterkünfte zu sanieren, im Schwinden begriffen ist. Erschwerend hinzu kommen die ebenfalls ansteigenden Phänomene der Segregation und der Gentrifizierung im urbanen Baugeschehen. Während die Ursachen zum größten Teil in der (Welt-) wirtschaftlichen Entwicklung und auch in veralteten politischen Rahmenbedingungen sowie in neuen gehobenen Standards liegen, verfügen doch auch die einzelnen für die Gebäudeproduktion Verantwortlichen über Werkzeuge, hier gegenzusteuern – in meinem Fall mit Architektur.
Mein Vortrag versucht anhand des darin näher erläuterten konkreten Beispiels von „VinziRast-mittendrin“ Perspektiven zu öffnen, die dem Wohnbau in seiner gesamtgesellschaftlichen Bedeutung mehr Zukunftschancen eröffnen sollen.
Unser Architekturbüro gaupenraub+/- hat in Wien ein Gemeinschaftshaus für das Zusammenleben von Studierenden und obdachlosen Menschen realisiert, das den für Sozialprojekte üblichen Weg, einer Mangelerscheinung auch baulich mit den wenigen zur Verfügung stehenden Mitteln entsprechend „arm“ zu begegnen, verlassen hat. Der hybride Ansatz der ungewöhnlichen Durchmischung der Bewohnenden wurde auch in das von uns mitgestaltete Raumprogramm übernommen. Das Resultat ist ein Gebäude, das heute nicht nur dem Ziel der internen Durchmischung folgt, sondern sich auch darüber hinaus im Stadtgefüge zu einem Knotenpunkt des gesellschaftlichen Miteinanders entwickeln konnte. Es ist ein Beispiel dafür, wie mit wenigen Mitteln und trotzdem gleichzeitig hoher Attraktivität auch eine andere Konzeption von Architektur dazu beitragen kann, vom Bauprozess bis in die tägliche Nutzung unterschiedlichste Menschen zu begeistern, an der gebauten Umwelt teilzunehmen und teilzuhaben.
Cordula Fay
GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V., Berlin
Cordula Fay, M.Sc. Stadt- und Regionalplanung. Cordula Fay ist seit Mai 2018 Referatsleiterin für Stadtentwicklung, Wohnungsbau und Raumordnung beim GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. Zuvor war sie von 2006 an im kommunalen Wohnungsunternehmen degewo in Berlin für die Themen Stadtentwicklung, Nachhaltigkeit und Beteiligung zuständig und leitete die Abteilung Quartiersmanagement. Nach ihrem Studium der Geographie und Stadt- und Regionalplanung in Berlin, Valencia (Spanien) und Deventer (Niederlande) arbeitete sie von 2002 bis 2006 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung.
Vortrag / Input 2: Wohnungsbau im Kontext von Stadt und Quartier
Cordula Fay, Referatsleiterin Stadtentwicklung, Wohnungsbau und Raumordnung, GdW, Berlin
Der Bedarf an Wohnungen, insbesondere bezahlbare, ist nach wie vor steigend, vor allem in Ballungsgebieten. Hemmnisse, warum der Wohnungsbau der Nachfrage derzeit nicht ausreichend begegnen kann, gibt es etliche. Die Frage nach Bauland und Grundstücken ist eine entscheidende. Es liegt also auf der Hand, auch vor dem Hintergrund des Primates Innenentwicklung vor Außenentwicklung, bestehende urbane Quartiere weiterzuentwickeln. Hier kann an bestehende Strukturen angeknüpft werden, da eine Verkehrsanbindung besteht und für Versorgungsmöglichkeiten sowie öffentliche Einrichtungen wie Kitas und Schulen gesorgt ist.
Die Wohnungswirtschaft hat deshalb in den letzten Jahren vornehmlich eigene Grundstücke bebaut und damit ihre Quartiere städtebaulich weiterentwickelt und gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum geschaffen.
Das Zusammenleben kommt allerdings in der verdichteten Stadt an ihre Grenzen. Je näher Nachbarschaften zusammenrücken, umso größer ist das Risiko für mögliche Konflikte unter den Bewohnern. Quartiersmanagement, aber auch die Zusammenarbeit von Wohnungsunternehmen und Schulen im Quartier sind perspektivreiche Handlungsansätze, die nicht an der eigenen Haustür enden können.
Gerade die vom GdW vertretene Wohnungswirtschaft kann – im Unterschied zum aufs eigene Haus fixierten Kleineigentümer – die Gestaltung zukunftsfähiger Quartiere als Qualitätsmerkmal ausbauen. Die Zukunft liegt dabei im Zusammenspiel der sozialen Stabilisierung der Nachbarschaften sowie einer Image- und Identitätsbildung durch qualitätsvolle Architektur und Wohnumfeldgestaltung. Die Förderung der Akzeptanz bei der vorhandenen Bewohnerschaft ist bei der Frage nach ergänzendem Neubau in vorhandenen Quartieren dabei entscheidend.
In dem Vortrag wird auf die verschiedenen Aspekte ganzheitlicher Quartiersentwicklung aus Sicht der Wohnungswirtschaft eingegangen und werden Lösungsansätze präsentiert.
Daniel Philip Veenboer
Architectural Office EFFEKT, Kopenhagen
Educated at TU Delft with a specialty in Sustainable Technology Daniel leads the Research and Design Lab at EFFEKT. Daniel has several years of experience using systems design methodologies to generate novel solutions to complex global challenges that create tangible social, environmental and economic impact. In his years of praxis Daniel has lead a series of innovative design proposals, such as The Urban Village Project for IKEA, the Noma Farm Lab and the UN17 Village. By bridging the gap between architecture, engineering and ecology, Daniel is capable of pushing the boundaries of the built environment beyond mere sustainability, to create urban ecosystems that revitalize local ecologies and economies.
Vortrag / Input 3: Building Ecology — From Ego to Eco (in englischer Sprache)
Daniel Philip Veenboer, Architectural Office Effekt, Kopenhagen (Dänemark)
How can we make our everyday lives more liveable, sustainable and affordable? And how can we integrate circularity into the way we build and share our future homes, neighbourhoods and cities? According to the UN we only have 11 years to curb climate change, in order to steer clear of a global environmental catastrophe. With their high concentration of resources, as well as human and economic capital, cities will play a pivotal role in the way our imminent environmental crisis plays out. Design has a unique power to shape new aspirations and change the way we design, build and live. Join us to hear about how we can improve our quality of life and shape the way we live in the future.
Jörg Weber
raum 33 architekten, Weimar
Dipl.-Ing. Architekt Jörg Weber studierte nach seiner Lehre als Bautischler und mehrjähriger Tätigkeit im Bereich Denkmalpflege Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar (Abschluss 1994). Danach wirkte er in verschiedenen Büros in Thüringen und Sachsen mit. Seit 2005 freiberuflich tätig als raum33 Architekturbüro Weber. 2015 Gründung des Büros raum33 | architekten gemeinsam mit dem Architekten Dirk Hädicke (Weimar). Für das in Massivholzbau errichtete Familienhotel Weimar erhielt Jörg Weber 2013 erstmals den Sonderpreis Holzbau des Thüringer Staatspreises für Architektur und Städtebau. 2018 folgte für das Büro raum33 | architekten der zweite Sonderpreis Holzbau für den ebenfalls in Massivholzbauweise errichteten Kindergarten „Holzwürmchen“ (Weimar).
Vortrag / Input 4: Nachhaltiges Bauen in der Innenstadt · mit HolzBauen
Jörg Weber, raum 33 architekten, Weimar
Unter der Fragestellung „Holrahmenbau versus Massivholzbau“ wird im Vortrag auf die Vor- und Nachteile der verschiedenen Bauweisen von der Herstellung, über den Einbau bis zum bewohnten Zustand der Gebäude eingegangen. Hierbei spielen u.a. Aspekte wie Klimaschutz, Vorfertigungsmöglichkeiten, Bauzeiten, Eigenleistungsmöglichkeiten als auch gesundheitliche Aspekte einer Rolle.
Die Ansätze nachhaltigen Bauens in der Innenstadt werden an vier ausgewählten Thüringer Praxisprojekten dargestellt. Darunter das „Familienhotel Weimar“ als erstes Hotel in Vollholzbauweise in einer deutschen Innenstadt. Die Alte Feuerwache Weimar, die in den kommenden drei Jahren zu einem zentrumsnahen Wohn- und Arbeitsstandort entwickelt wird. Der 2018 eröffnete Kindergarten „Holzwürmchen“ in Weimar, ein massiver Holzbau für 100 Kinder, der im Jahr 2018 mit einem Sonderpreis des Thüringer Staatspreises für Architektur und Städtebau ausgezeichnet wurde. Sowie die in Planung befindliche Beherbergungsstätte auf der Burg ohne Gleichen – Tannroda; ebenfalls in Massivholzbauweise geplant.
Silvia Hennig
Neuland21 e. V., Bad Belzig
Silvia Hennig ist Gründerin und Geschäftsführerin von Neuland21, einem Think & Do Tank für das Landleben im 21. Jahrhundert. Mit ihrer Organisation erforscht und entwickelt sie digitale und digital-soziale Innovationen, die mehr Lebensqualität im ländlichen Raum schaffen, z.B. in den Bereichen Wohnen, Arbeiten, Mobilität oder Daseinsvorsorge. Silvia Hennig hat Geschichte und Literatur an der Universität Potsdam und Öffentliche Politik und Verwaltung an der Harvard University studiert.
Vortrag / Input 5: Digital und rurban: Wie neue Wohngemeinschaftsprojekte Dörfer smarter machen
Silvia Hennig, Gründerin von Neuland 21 e.V.
In Ostdeutschland kämpfen vor allem ländliche Gebiete fern der Großstädte mit Abwanderung und einem anhaltenden Bevölkerungsrückgang. Dieser Trend lässt sich nur stoppen, wenn die Dörfer sich neu erfinden und ein urbanes Klientel für sich begeistern. Seit Kurzem erprobt eine kreative urbane Szene mit innovativen Wohn- und Arbeitsprojekten, wie sich neue Formen digitaler Arbeit mit dem Landleben verbinden lassen. Die Projekte zieht es in der Regel nicht in Neubauten am Stadt- oder Dorfrand. Die Umzugswilligen interessieren sich eher für alte und baufällige Gebäude in der Ortsmitte. Sie verwirklichen ihre Ideen in stillgelegten Fabriken und Mühlen, Krankenhäusern und Berufsschulen, Klosteranlagen und Landgütern – und wirken damit dem Entstehen von sogenannten Donut-Dörfern entgegen. Die Stadt-Land-Wanderer bringen dabei nicht nur Einwohner, Steuer- und Gebührenzahler aufs Land, sondern auch neue Ideen: Sie suchen nach Möglichkeiten, wie man auch ohne Auto auf dem Dorf mobil bleiben kann, denken über Hofläden zur Verbesserung der Nahversorgung nach, eröffnen Galerien und organisieren Festivals. So zeigen sie die analogen Qualitäten von digitalen Innovationen auf und lassen auf dem Land rurbane Räume entstehen - Dörfer und Kleinstädte, in denen sich das Lebensgefühl von Stadt und Land vermischt und die so auch für andere Menschen wieder als Lebensräume attraktiv werden.
Hans Drexler
Drexler Guinand Jauslin Architekten, Frankfurt am Main
Hans Drexler, Dipl. Arch. ETH M. Arch. (Dist.), studierte Architektur an der Technischen Universität Darmstadt, an der Städelschule in Frankfurt und diplomierte an der ETH Zürich 1998. Anschließend erlangte er einen Master of Architecture Design an der Bartlett School UC London. Von 2005 bis 2009 war er tätig als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Entwerfen und Energieeffizientes Bauen von Prof. M. Hegger an der Technischen Universität Darmstadt. Dort leitete er mehrere Forschungsprojekte mit Erfolg. Seit 2009 lehrt er als Vertretungsprofessor an der Münster School of Architecture im Sustainable Design Studio. Seit 1999 leitet er Drexler Guinand Jauslin Architekten.
Vortrag / Input 6: Interactive Housing. Anpassungsfähige Bausysteme für den Wohnungsbau
Hans Drexler, Dipl. Arch. ETH M. Arch., DGJ Architektur Frankfurt am Main
Wohnen ist ein Grundbedürfnis, das noch immer für viele Menschen in allen Regionen der Welt nicht oder nur unzureichend gedeckt wird. Architektur und Städtebau können einen Beitrag leisten, um neue Lösungsansätze zu finden, um das Angebot von Wohnraum für alle zu sichern. Die Herausforderung des erschwinglichen Wohnens besteht darin, die Kosten und den resultierenden Wohnwert in ein optimales Verhältnis zu setzen. Der Weg dahin ist nicht vorgezeichnet, sondern von vielen lokalen Parametern und kulturellen Prägungen abhängig.
In dem Vortrag werden zunächst vor diesem Hintergrund theoretische Ansätze vorgestellt und an ausgewählten eigenen Arbeiten Strategien zur Schaffung von erschwinglichem Wohnraum vorgestellt. Im Zentrum steht dabei die Frage, inwieweit Flexibilität und Anpassungsfähigkeit die Wohngebäude zukunftsfähiger machen und eine kostengünstige Herstellung begünstigen können.
DGJ Architektur entwickeln Strategien und Methoden zur Schaffung von bedarfsgerechtem und bezahlbarem Wohnraum. Dabei ist das Ziel eine Optimierung von Kosten und Wohnwert: Neben der reinen Kostenbetrachtung legen wir Wert auf Gebrauchstauglichkeit und Wohnqualität. Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung werden dabei stets die Kosten über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes berücksichtigt, die auch Betriebs-, Instandhaltungs-, Rückbau- und Grundstückskosten beinhalten. Eine ganzheitliche Beurteilung der Kosten optimiert diese über den gesamten Lebenszyklus.