
Plattform Wohndebatte
Wohnen spiegelt und formt die Wirklichkeit und die Sehnsüchte einer ganzen Gesellschaft. Mit der Plattform Wohndebatte suchte sich die Stiftung 2019 bis 2021 bewusst Thüringen als Austragungsort dieses Gesprächs. Es ist eine Debatte, die an verschiedenen Orten des Landes bereits besteht, in der Bau- und Wohnungswirtschaft, in den Universitäten, in den Kommunen aber auch im privaten Bereich der Bauherrenschaften und nicht zuletzt bei allen Thüringer:innen, ob Single, Familie oder in anderen Lebenskonstellationen.
Ziel des Projekts Plattform Wohndebatte war es, neue Wohnformen in und für Thüringen aufzusuchen und zu systematisieren, sowie neue Ideen zu befördern, die sozialer, technologischer aber auch ästhetischer Art sein können. So teilen sich die Ergebnisse des Projektes Plattform Wohndebatte in drei Teile: in die Essays zum Wohnen, in 9 Thesen zum Wohnen und in Handlungsempfehlungen, die direkt an die Thesen anknüpfen.
Förderung
Die Plattform Wohndebatte wurde gefördert vom damaligen Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft und den Mitgliedern des Wohnbaurates:
Architektenkammer Thüringen, Ingenieurkammer Thüringen, vtw | Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, STIFT Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung Thüringen, Thüringer Aufbaubank, Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen mbH, Bauindustrieverband Hessen-Thüringen e. V.
Wohnbaublätter
Dass es bei einer reinen Debatte nicht bleibt, war Anspruch dieses Projekts. Darum sind neben einem Ideenwettbewerb und einer Ausstellung auch drei Wohnbaublätter als Vermittlungs- und Diskussionsformat herausgegeben worden. Sie geben Einblick in den Status quo der Wohnraumsituation in Thüringen. Außerdem kommen Mitglieder des Wohnbaurats zu Wort und schildern ihre Sichtweise und Visionen für neue Wohnformen in Thüringen und darüber hinaus.

Essays zum Wohnen
Die Essays zum Wohnen begleiten die Publikation 9 Thesen zum Wohnen. Sie gelten Thüringen und damit den Charakteristika dieses Landes. Einerseits greifen die Essays allgemeine Diskussionen zum Wohnen auf. Andererseits wollen sie jedoch auch klar unterscheidbare Aussagen zum zukünftigen Wohnen in Thüringen treffen und bieten auch eine Anwendungsperspektive.
9 Thesen zum Wohnen

Wohnen ist eine existenzielle und soziale Basis. Wohnraum gibt es für alle.
Wohnen betrifft jeden Menschen. Es ist mehr als nur die Gesamtheit einer gedeckten Bedarfslage. Wohnen ist Bedingung der Menschenwürde, es ist ein individuelles Grundbedürfnis. Wohnen ist die intimste Sphäre von Körper und Geist, ein gesundes Wohnen somit ein grundlegender Anspruch. Wohnen steht in Bezug zu sozialen, wirtschaftlichen und gestalterischen Dimensionen. Die Bezahlbarkeit des Wohnens ist sowohl für den Wohnbau als auch für die Wohnnutzung entscheidend.
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Wohnen ist Kultur. Architektur ist ihr Ausdruck.
Eine aktiv gepflegte baukulturelle Praxis ist Voraussetzung sowohl für qualitätvolles Wohnen als auch Voraussetzung für das Aktivieren wirtschaftlicher Potentiale. Gute baukulturelle Praxis zeigt sich in nachvollziehbaren Prozessen, die Beteiligung ermöglichen und eine Debatte über und mithilfe von Varianten führen kann. Das Wettbewerbswesen ist Teil dieser Diskussionskultur. Bürgerschaftliche Teilhabe sollte das Ergebnis einer offen geführten Wohndebatte sein.

Die digital-ökologischen Herausforderungen formen die Zukunft des Wohnens.
Ökologische Anforderungen – Umgang mit Boden, Gebäude, Material und Umwelt – treffen den Wohnbau und das Wohnen in seinem Kern. Im verantwortungsvollen Einsatz nachhaltiger Strategien und digitaler Werkzeuge liegen die Antworten. Die Dimensionen der Energiewende, der Rohstoffkreisläufe, der Weiterverwendbarkeit müssen im Wohnungsbau und -betrieb sichtbar werden, nachhaltig und qualitätvoll umgesetzt werden und finanzierbar bleiben.

Wohnen in Thüringen profitiert von einer dezentralen Urbanität.
Thüringen profitiert von seiner ländlichen und kleinstädtischen Struktur, die als dezentrale Urbanität zeitgemäß und modellhaft neu weiterentwickelt werden kann. Wohnen auf dem Land und in Kleinstädten bietet eine eigene Lebensqualität – durch Arbeit, Wohnen, sozialem Miteinander und Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Voraussetzung ist eine lokale, verkehrliche und digitale Infrastruktur: Breitband- und Logistikangebote, digitale Möglichkeiten der Mobilität, der Bildung und der Gesundheit. Es gilt das "Potential des Nichtmetropolitanen" offenzulegen.

Der Schlüssel zu lebendigen Dörfern und Innenstädten ist ihre Bewohnbarkeit.
Lebendige Dorf- und Stadtkerne und lebenswerte Quartiere sind die Basis guten Wohnens. Wo ein Lebensumfeld Nah- und Grundversorgung und den Zugang zu Arbeit, Bildung und Grünräumen bietet, können neue Nutzungen Leerstand aktivieren und den baulichen Bestand sinnvoll ergänzen. Der sorgsame Umgang mit dem Vorhandenen schließt eine Strategie mit ein, die gemischte Nutzungen ermöglicht. Es geht darum, eine Praxis zu etablieren, welche die Ortsbindung, Partizipation, soziale Innovation fördert und neue Vorstellungswelten schafft – und damit um eine Kultur, die zur langfristig wirksamen Revitalisierung in ländlicher Umgebung beiträgt.

Wohnbau darf nicht gleichbedeutend mit Flächenverbrauch sein.
Mehrfamilien- sowie Ein- und Zweifamilienhäuser prägen die Wohnwirklichkeit in Thüringen. Das schafft einen Siedlungsdruck, und dennoch ist bebaubarer Boden eine endliche Ressource. Das freistehende Eigenheim steht in Frage und folgt doch einem wesentlichen Heimatmotiv. Es gilt, (nach)verdichtetes Wohnen mit den Qualitäten des Einfamilienhauses zu verbinden. Die wertvollste Ressource ist der Bestand. In ihm auch das Neue zu sehen, anstatt daneben Neues zu bauen, ist ein notwendiger Entwicklungsschritt.

Zusammenwohnen kann eine Chance des zukünftigen Wohnens sein.
Wohnen zeigt sich immer im Kontext von Dorf, Quartier und Stadt. Wohnen spiegelt dabei vielfältige Lebensformen aller Lebensphasen wider, gibt der sozialen Vielfalt Raum und bietet zuzugs- und einwanderungswilligen Menschen eine neue Heimat. Qualitätsvolles Wohnen erlaubt eine Gemeinschaft der Generationen mit Respekt für das Individuum. Neue Formen gemeinschaftlichen und gemeinwohlorientierten Wohnens können in einem experimentellen Milieu gelingen.

Wohnbau in Holz ist eine Zukunftschance für Thüringen.
Thüringen ist ein Waldland. Im Land ist der Holzbau zu fördern. Die Anwendung lokaler, nachwachsender Baustoffe führen Regionalität, Nachhaltigkeit, bauliche Innovation und regionale Wertschöpfung zusammen. Im Neubau und im Bestand lassen sich Bautechnik und Baugestaltung mit materialbedingter Wohnqualität durch nachhaltige, regenerativ erzeugte Baustoffe hervorragend verbinden.

Der neue Wohnbau ist individuell gestaltet und zugleich seriell gebaut.
Die Diskussion um Erwartungen und Standards im Wohnen gilt es, immer wieder neu zu führen. Scheinbar widersprechen individuelle Wohnwünsche den Angeboten und der Baupraxis. Das digitale Planen, Konstruieren und Bauen kann jedoch die Trennung von Einzelstück und Serie, von Handwerk und Industrie überwinden. Das ist eine Chance für einen finanzierbaren Wohnungsbau, der das rationalisierte Bauen mit qualitätsvoller und nachfragegerechter Gestaltung verbindet.
Handlungsempfehlungen
Anhand der Thesen wurde auf neun Handlungsfeldern ein breites Spektrum möglicher Umsetzungsschritte gezeigt. Dabei ist Thüringen der Rahmen einer Debatte, die auch den Blick über die Landesgrenze einfordert. In der Absicht, in der Wohndebatte gemeinsam ein Zwischenergebnis zu formulieren, sind die vorliegenden Handlungsfelder und -empfehlungen entstanden. Sie sind ein Gesprächsangebot, das weitere Akteur:innen des Wohnens erreichen und Anlass geben soll, die Wohndebatte fortzuführen.
Wohnbaukonferenz #2
Die zweite Wohnbaukonferenz "Zusammenwohnen" der Plattform Wohndebatte sollte ursprünglich als Austausch- und Vernetzungsveranstaltung über die Bühne gehen. Doch ausgerechnet eine Tagung über Gemeinsinn und Gemeinwohl musste gemäß den Versammlungsbeschränkungen am 11. September 2020 ins Internet verlegt werden. Dass dennoch die Referierenden und Teilnehmenden während der Veranstaltung eine Art Gemeinschaft gebildet haben, zeigt die große Menge der Interessierten. Die Beiträge stehen online zur Verfügung!