Die neue Ära des Holzbaus

 In den Waldregionen der Welt war Holz seit eh und je das dominierende Baumaterial. Dies gilt für Mitteleuropa, Skandinavien, Russland und Sibirien, für Nordamerika, Japan und andere Zonen. Mitteleuropäische Fachwerkstädte und die traditionelle japanische Architektur etwa geben uns hier ebenso faszinierende Beispiele, wie etwa die Blockhäuser Nordamerikas oder die Bambus-Strukturen Asiens. Gerade auch Thüringen ist geprägt vom Holzbau der Fachwerkstädte und -dörfer.
Die industrielle Revolution im Verbund mit der Urbanisierung hat spätestens seit dem 18. Jahrhundert dieses Bild grundlegend verändert. Zwar spielt das Holz in diversen Bautypologien weiterhin eine wichtige Rolle, es wird jedoch in der Moderne als dominierender Konstruktionswerkstoff und Massenbaustoff von den neuen industriellen Materialien des Eisens, des Stahls, des Glases, vor allem aber von Beton und Stahlbeton verdrängt. Dies gilt besonders für die Metropolen, für die moderne Megalopolis. Und es gilt für den Massenwohnungsbau und für die großen Infrastruktur- und Ingenieurbauwerke, die Autobahnen, Brücken, Türme. Die technoiden Visionen der Moderne des 20. Jahrhunderts, jene eines Le Corbusier, eines Mies van der Rohe, eines Nervi oder auch jene des Bauhauses waren inspiriert von den grandiosen Strukturen aus Stahl, Glas und Beton. Le Corbusier bewunderte schon früh die Beton-Monumente amerikanischer Silobauten, Mies entwarf seine „skin-and-bones“-Architektur als minimalistische Stahl-Glas-Architekturen und Richard Buckminster Fuller nutzte den hochfesten Stahl für die filigranen Kuppel-Strukturen seiner „Geodesic Domes“.
Der traditionelle Holzbau konnte diesem Anforderungsbild neuer Funktionen der Bahnhöfe, Markthallen, Brücken, dem technologischen Milieu der industriellen und urbanisierten Massengesellschaft nicht folgen. Der Holzbau blieb eine Domäne des Handwerks, des vornehmlich ländlichen Bauens, der Baureparatur usw. Der Schuppen, die Scheune, die Baracke, die Gartenlaube, vielleicht der Stall und das Lagerhaus, vielleicht der Notwohnungsbau nach dem 1. Weltkrieg, die Holzdecken und Dachstühle, sie waren aus Holz, anderes eher nicht.
Zugleich sehen wir einige sehr interessante Reservate des Holzbaus in der Moderne des 20. Jahrhunderts, die unser Interesse verdienen.
Konrad Wachsmann etwa, der später seine berühmte Schrift „Wendepunkt im Bauen“ publizierte, in welcher er das industrielle Bauen zum Programm erhob, hatte in der Holzbaufirma Christoph & Unmack in Niesky an der Neiße begonnen, sich – ausgehend von den Barackenbausystemen – mit einem systematischen Holzbau zu befassen. Wachsmann war seit 1926 Chefarchitekt der Firma. Und Wachsmann hatte zudem sehr bemerkenswerte, moderne Holzbauten entworfen, u.a. das Wohnhaus von Albert Einstein in Caputh bei Potsdam (1929). Später in den USA entwickelte Konrad Wachsmann zusammen mit Walter Gropius ein Fertigbausystem aus Holz, das „General Panel System“. Und Gropius hatte – dies soll hier wenigstens notiert werden – schon 1920/21 ein expressionistisches Holzhaus in Berlin-Lichterfelde für den Holzunternehmer Adolf Sommerfeld gebaut, der ein großer Mäzen des Bauhauses wurde.
Zu nennen ist hier auch ein Thüringer. Otto Hetzer (1846–1911), Zimmerermeister in Weimar, war einer der wichtigen Erfinder im Sektor des Ingenieurholzbaus, er hat seinerzeit innovative Hallen für seine Firma in Weimar gebaut, von denen eine jetzt, nach Jahren des Leerstandes und des desolaten Zustands unter der Schneelast zusammengebrochen ist. Hetzer ist vor allem über seine Patente als neuzeitlicher Erfinder des Holzleimbaus berühmt.
Es gibt also auch diese moderne Vorgeschichte des Holzbaus, zu der wir viele Bauten aufzählen könnten, auch das Fisher House (1960–67) von Louis Kahn oder ebenfalls das Wohnhaus von Ernst Neufert, welches er 1929 als modernes Holzhaus nach amerikanischen Vorbildern in Weimar-Gelmeroda gebaut hat und das auch der Sitz der Stiftung Baukultur Thüringen ist. Trotz dieser beeindruckenden, modernen Exemplare des Holzbaus bleibt das Holz im 20. Jahrhundert am Rande, in der Nische.
Seit mindestens drei Jahrzehnten jedoch, eigentlich schon seit den 1960er Jahren, ändert sich dies grundlegend. Angeschoben von Pionierregionen wie etwa Vorarlberg in Österreich, erobert der Holzbau praktisch alle Bautypologien, in der Architektur und im Ingenieurwesen. Dieser grundlegende Statuswandel des Materials ist keineswegs arbiträr oder nur eine Laune oder Anekdote, er wurzelt vielmehr in der Erkenntnis einer fundamental veränderten Weltlage. Es sind einerseits die ökologischen Imperative, der Klimawandel, die Notwendigkeit der Ressourcen- und Energieeffizienz und andererseits die neuen, vor allem die digitalen Technologien, welche das Holz als Baumaterial nun zu einem Top-Material werden lassen.
Holz ist ein idealer CO2-Speicher. Holz ist – nachhaltige Forstwirtschaft vorausgesetzt – ein immer verfügbarer, nachwachsender Rohstoff. Holz kann mit geringstem Energieaufwand gewonnen und verbaut werden. Holz lässt sich hervorragend bearbeiten, es ist ebenso zugänglich für Low-Tech-Verfahren und das Handwerk, wie auch für High-Tech-Verfahren, wie eine hocheffiziente digital gesteuerte, quasi-industrielle Produktion. Holz ist – dort wo es wächst – regional verfügbar und damit prinzipiell auf kurzem Weg in regionalen Stoff- und Wirtschaftskreisläufen anwendbar, wie es „Holz von hier“ propagiert. Holz ist in vielfältiger Form wiederverwendungsfähig. Holz ist ein relativ leichter Baustoff, was daher unter anderem für alle Formen von Aufstockungen oder beim Transport von Vorteil ist.
Dies alles sind unschlagbare Vorzüge des Holzes als Baustoff im 21. Jahrhundert.
Und neue Technologien öffnen das Holz für die modernsten Bauaufgaben und die industrielle Anwendung mit höchster Präzision. Dies gilt für Ingenieurbauten, bei denen Leimholzbinder hohe Tragfähigkeiten und auch entsprechend schlanke Tragglieder ermöglichen, es gilt für die Erfindung von Brettschichtholz bzw. Brettsperrholz und Massivholzwänden und es gilt für CNC (Computerized Numerical Control)-Maschinen, die digitale Modelle exakt in das Werkstück/Bauteil verwandeln. Hier wird auch ein völlig neues Verhältnis von Serie und Unikat, von Industrie und Handwerk entstehen. Das digital-industrielle Verfahren kann jetzt gewissermaßen Unikate am laufenden Band produzieren, während die Unikate des Handwerks ebenfalls aus digitalen Modellen gespeist sind, z.B. mit einer handgeführten, zugleich digital hochpräzise gesteuerten Fräse, wie der Shaper Origin – um nur ein Beispiel zu nennen.
Dem Holz als Baustoff haften teilweise noch die Images seines vormodernen Gebrauchs an, Images, die eben im Kontext des Modernismus des 20. Jahrhunderts kaum ausgeräumt, sondern eher noch verstärkt worden sind. Stein, und Beton als der „moderne Stein“ seien unbrennbar, Holz brennbar. Stein und Beton seien dauerhaft, Holz nicht. Stein und Beton seien tragfähig, man baut daraus Hochhäuser und Brücken, Holz sei nicht so tragfähig, man baut daraus nur kleine Häuser und kleine Brücken. Manche Leute sind „steinreich“ und wohnen in Steinhäusern, andere sind nicht reich und wohnen in Holzhäusern. Gewiss sind Holzhäuser abgebrannt, auch Brücken zum Beispiel, und ganze Holzbaustädte wurden Opfer der Flammen. Die alte finnische Hauptstadt Turku etwa, vollkommen aus Holz gebaut, brannte 1867 komplett ab und hinterließ in Finnland – diesem Holzbauland - eine Art gesellschaftliches Trauma, das zu extrem restriktiven Brandschutzordnungen führte.
Holzbau ist jedoch heute technisch insofern beherrschbar, dass die alten Vorbehalte als überholt gelten müssen. Moderner Holzbau kann auf einfache Weise brandsicher und dauerhaft sein. Dennoch sind die Klischees (noch) da.
Zugleich setzen sich die Gegenbilder eines naturnahen, ökologisch vernünftigen Bauens durch. Und der moderne Holzbau durchdringt mittlerweile nicht nur die ländlichen Räume, sondern wird auch zum Erneuerer der urbanen Landschaft. Zudem erobert der Holzbau die Dimension der Höhe. In Norwegen ist ein 18-geschossiges Wohnhaus gebaut worden, in Wien das „HoHo“ mit 24 Geschossen, 84 m hoch. In Milwaukee soll bis 2022 mit 25 Geschossen ein neuer Höhenrekord aufgestellt werden, in anderen Städten sind ähnliche Projekte unterwegs.
Holz ist – bei entsprechender Konstruktionsweise – dauerhaft. Vielleicht aber sollte auch das kulturell festgelegte Klischee in Frage gestellt werden, dass Häuser überhaupt eine Ewigkeitsgarantie brauchen. Wie sieht ein vernünftiger Lebenszyklus eigentlich aus? Und muss das Haus in einer hochgradig flexiblen, modernen, mobilen und temporär organisierten Gesellschaft wie eine Burg, eine Festung begriffen werden? Die Antwort ist: nein. Wir sprechen nicht von ägyptischen Pyramiden. In Regionen, wo diese Doktrin der Dauerhaftigkeit ohnehin in Frage steht, wird wunderbar und massenhaft in Holz gebaut. Dies mag für Erdbebenregionen wie etwa Japan gelten, es gilt aber z.B. auch für das rurale Amerika, das seit der schnellen Besiedlung des Kontinents massenhaft den leichten Holzbau praktiziert, erst in den „Western-Städten“, dann mit dem modernen „Balloon-Frame“-Verfahren.
Auf der Grundlage neuer Materialeigenschaften und Verarbeitungstechnologien wachsen dem Holzbau neue Formenwelten zu, eine andere Architektur wird entstehen. Die Fügetechniken verändern sich, die Morphologien werden transformiert, die Texturen gewandelt usw. Hinzu kommen diverse neue „Derivate“ des Holzes, die auch im Sektor des Bauens Anwendung finden können, z.B. weitere Produkte aus Holzfasern, u.a. Holzfaserdämmung, die ja schon praktiziert wird. Dies ist ein sehr wichtiges und vielversprechendes Forschungs- und Entwicklungsfeld, das zwar weit über das Bauen im engeren Sinne hinausgeht, aber auch hier innovative Entwicklungen anstoßen muss.
Zu erwähnen ist das psycho-physiologische Moment einer naturnahen Umgebung, die der Holzbau bedeutet. Dies ist z.B. wichtig für das Wohn- und Arbeitsumfeld, aber auch etwa für Schulen. Hier sind die positiven Effekte im Hinblick auf Akustik, Baubiologie, Stressabbau u.ä. zu notieren. Auch dies ist ein Punkt, der für die neue Popularität des Holzbaus von Wichtigkeit ist. Diese veränderte Perspektive auf das Material generiert auch eine neue Ästhetik, eine Ästhetik, die mit dem Material Holz zugleich die Modalitäten seiner sehr modernen Produktion und eines modernen Life-Style demonstriert und vermittelt, die also nicht unbedingt Wagenräder- und Bauernstubenlook bemüht oder bestimmte Öko-Klischees kolportiert.
Zieht man die Bilanz, dann ist das Bauen mit Holz ein Gebot des 21. Jahrhunderts angesichts der ökologischen Herausforderungen und der digitalen Revolution, an deren Schwelle wir stehen. Diese Präferenz für das Holz wird keine Doktrin der Ausschließung sein dürfen, denn auch für Baustoffe wie Stahl und Beton gibt es eine intensive Forschung und Entwicklung, die darauf zielt, diese Stoffe den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen, also der Einsparung von CO2 und Energie, des Umstiegs von fossiler Energie auf alternative Quellen, der Recyclingfähigkeit usw. Immerhin gehen ca. 40% des CO2- Ausstoßes auf das Konto des Bauens. Auch haben andere Baustoffe wie z.B. der gebrannte Ziegel in den letzten Jahren in der Architektur einen enormen Aufschwung erfahren. So wichtig diese Entwicklungen sind, so interessant sollte es sein, die Vision einer weitgehend aus Holz gebauten neuen Welt zu denken. Denkt man dies, dann wird man feststellen, dass es möglich ist.
Zumal der nachwachsende Rohstoff tatsächlich nachwächst. Die Holzvorräte in Deutschland z.B. schwinden nicht (auch nicht in zu hohem Maße durch das Schadholz), sondern sie wachsen stetig an, wie die periodischen Bundeswaldinventuren deutlich zeigen. In Thüringen etwa beläuft sich der im Wald stockende Gesamtvorrat auf ca. 175 Mio. m3. Das ist der höchste Stand seit Beginn der Erfassung vor zweihundert Jahren und Ergebnis der zur langfristigen, multifunktionalen Nachhaltigkeit verpflichtenden Waldgesetze. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges hat sich der Holzvorrat in Thüringen verdreifacht. Der Zuwachs auf den rd. 550.000 ha Waldfläche in Thüringen beträgt im Jahr 5,8 Mio. m3. Nur ca. 76% dieses Zuwachses wurden genutzt. Damit wird deutlich, dass selbst bei gesteigerter Nutzung die Nachhaltigkeit der Forstwirtschaft nicht gefährdet ist. Vielmehr ist bedeutsam, dass die auf dem bereitgestellten Holz basierenden Wertschöpfungsketten regional, werteorientiert und hinsichtlich der Verwendung kaskadisch entwickelt werden. Auf diese Weise kann der Klimaschutzbeitrag der Holzverwendung maximiert und gleichzeitig ein wesentlicher positiver und zukunftsorientierter Strukturwandelbeitrag für den ländlichen Raum geleistet werden. Ein diesbezügliches regionales Beispielprojekt liefert der Thüringer Verbund „Holz-21-regio“.
Die Europäische Kommission hat im Rahmen ihres „Green New Deal“, der Herausforderungen der Zukunft beschreibt, die Gründung eines neuen Europäischen Bauhauses vorgeschlagen, dass also jene Avantgarde-Leistung, die das Bauhaus für das 20. Jahrhundert erbracht hatte, nun mit einem neuen Bauhaus für das 21. Jahrhundert einzulösen sei. Dafür braucht es, verglichen mit dem letzten Jahrhundert, grundsätzlich neue Wege. Und die Renaissance des Holzbaus ist ohne Zweifel einer der Hauptwege.
Dies wird auch von der EU-Kommission unterstrichen, indem sie für die angestrebte „Renovierungswelle für Europa“ die Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus von Gebäuden, also eben Nachhaltigkeit, fordert sowie die Etablierung der Kreislaufwirtschaft. Es geht also um Förderung von grüner Infrastruktur, Verwendung organischer Baustoffe, die CO2 speichern können, vor allem auch Holz aus nachhaltigen Quellen.
Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, die CO2-Emissionen im Gebäudebereich erheblich zu reduzieren, um bis 2050 einen klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen. Da der Gebäudesektor für 30 – 50% der gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich ist (abhängig vom Umfang der einbezogenen Energiearten), spielt er für die Erreichung der Klimaschutzziele eine entscheidende Rolle. Ein erheblicher Anteil dieser CO2-Emissionen entsteht dabei bereits bei der Herstellung der Gebäude und Baustoffe. Durch den verstärkten Einsatz von Holz im Bauwesen können nicht nur mehr als 2 Millionen Tonnen CO2 langfristig im Holz gespeichert, sondern auch energieintensive Materialien wie Stahl und Beton ersetzt und damit die CO2-Emissionen im Bauwesen jährlich um 30 Millionen Tonnen gesenkt werden.
Auch Thüringen verfolgt analoge Ziele die im aktuellen Koalitionsvertrag der Thüringer Landesregierung schon enthalten sind. Die Themen reichen vom energieeffizienten Bauen und der energetischen Sanierung bis zur verstärkten Nutzung von Holz und anderen nachwachsenden Rohstoffen im Baubereich. Hinzukommt der von der Landesregierung im August 2019 beschlossene Aktionsplan Wald 2030 ff, welcher auch auf eine Förderung des Bauens mit Holz hinzielt.

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