Vom kollektiven Wohneigentum im ländlichen Raum, einem neuen Gemeinschaftssinn und geteiten Ressourcen
Wie viele Orte im ländlich geprägten Thüringen erwartet auch Stützerbach einen signifikanten Bevölkerungsrückgang in den nächsten Jahren, was zahlreiche Herausforderungen birgt.
Das Projekt entwickelt, durch den Aufbau einer solidarische Genossenschaft, eine Vision des Ortes in dem eine aktive Zivilgesellschaft der Schrumpfung entgegenwirkt. Stützerbach kann Zusammen.Wachsen!
Dies geschieht folgendermaßen:
- BürgerInnen Stützerbachs erkennen das Potential kleiner, barrierefreier und gemeinschaftlicher Neubauwohnungen als Alterswohnsitz und bringen Eigenkapital in die Genossenschaft ein.
- Die verschiedenen, preiswerten Mietwohnungen im Neubau der Genossenschaft sind ausschließlich barrierefrei und haben verhältnismäßig kleine private Wohneinheiten (Ø 36qm), die durch großzügige Gemeinschaftsflächen ergänzt werden.
- Die neuen Wohnungstypen werden zum Teil direkt von SeniorInnen aus Stützerbach bezogen. Die dadurch frei werdenden Bestandsgebäude, sowie aktuell leer stehende Bauten, werden zum Genossenschaftseigentum.
- Junge Familien können nun über einen Eintritt in die Genossenschaft günstig und zur Miete die Bestandshäuser beziehen, eine Verschuldung und ein langes Abbezahlen des vermeintlichen Einfamilienhaustraums wird somit vermieden.
- Die Kombination aus reaktivierten Bestandsgebäuden mit einem gemeinschaftlichen Neubauprogramm lässt einen diversen Mietwohnungspool in Stützerbach entstehen. Die BewohnerInnen sollen je nach Lebensphase in eine passende Genossenschaftswohnung ziehen können - die Ressource Raum wird so effizient genutzt!
Städtebaulich definiert das Cluster mit einer grünen Pufferzone an der nördlichen Grenze den Hüttenplatz. Dieser entwickelt sich mit dem neu errichteten Kiosk „Am Büdchen“, einem Design-Build Projekt der Bauhaus Universität Weimar, zum zentralen Anlaufpunkt der Ortsgemeinde. Außerdem ist er neuer Startpunkt für Wanderrouten in den Thüringer Wald. Ein neu entstandener Spazierweg entlang der Lengwitz westlich der Wohnbebauung, ordnet das Nord-Süd-Wegenetz innerhalb des Ortes für Fußgänger neu. Durch die Verdrehung des nördlichen Volumens wird einen frei zugängliche Platzfolge entwickelt. Diese unterscheidet sich in ihrem Grad an Öffentlichkeit und adressiert unterschiedliche Nutzungen.
Prototypisch zeigt das Neubaucluster auf dem Hüttenplatz das Zusammenwirken der verschiedenen Genossenschaftsbausteine WOHNEN, TEILEN und LEBEN. Spezifische Funktionen werden aus der privaten Einheit in gemeinschaftliche Räume ausgelagert. Es gibt beispielsweise eine geteilte Waschküche oder Gästewohnung, sodass die Grundrissflächen einzelner Wohnungen verringert werden können. Rückseitig ergänzen kleine Gewerbe das Nahversorgungsangebot und beleben den Stadtraum in besonderem Maße.
Großzügige kollektive „Wohnzimmer“, zugeordnet zu je zwei Wohngebäuden, bereichern das Raumprogramm und lassen Gemeinschaft entstehen. Außerdem dienen sie der Erschließung und sind so belebter Transitraum. Die drei architektonischen Bausteine referenzieren die typologische Hülle eines traditionellen Einfamilienhauses in Stützerbach. Eine unterschiedliche Interpretation dieser Form trägt zu einer abwechslungsreichen und lebendigen Gestaltung des Ortskernes bei.
Die Wohngebäude werden in einer Holzbauweise mit einem Raster von 4/5m ausgeführt. Dies ermöglicht eine flexible Kombination der sechs verschiedenen Grundrisstypen. Neue Zielgruppen, deren Bedarf im derzeitigen lokalen Wohnungsmarkt nicht abgebildet wird, werden so angesprochen. Die Genossenschaft kann in dieser Art und Weise sukzessiv und spezifisch auf die Nachfrage bestimmter Wohnungstypen in Form von weiteren Bauprojekten reagieren und die Bausteine nach Bedarf anpassen.
Aus der Jurybeurteilung:
Das Projekt „Zusammen.Wachsen“ zeigt – exemplarisch am Ort Stützerbach – wie auf der Grundlage eines Genossenschaftsmodells eine Vision für einen Ort entwickelt werden kann. Die Nutzung leerstehender oder untergenutzter Bestandsgebäude sowie ein Neubau lassen einen Genossenschaftswohnungspool entstehen, der dafür sorgt, dass räumliche Ressourcen des Ortes besser genutzt werden können und dadurch Gemeinschaft entstehen kann. In der Mitte des Ortes Stützerbach wird ein Neubau errichtet, der aus kleinen privaten Wohneinheiten und großzügigen gemeinschaftlich genutzten Flächen besteht. Ortsansässige Senior*innen beziehen die im Vergleich zum bisher genutzten Wohnraum kleineren neuen Wohneinheiten, was ein Freiwerden der bestehenden Einfamilienhäuser bewirkt. Das dem Konzept zugrundeliegende Genossenschafts- bzw. Finanzierungsmodell ermöglicht Jungfamilien, diese freien Häuser zu beziehen, ohne sich deswegen langfristig zu verschulden.
Die Auseinandersetzung mit der Thematik, wie zukünftige Wohnformen im ländlichen Raum aussehen können, spiegelt sich in der umfassenden Ausarbeitung des Projekts wider: Auf regionaler und städtebaulicher Ebene werden in Bezug auf touristische Ziele vorhandene Ressourcen verknüpft, Akteure eingebunden und lokale Interventionen gesetzt. Die neu geschaffene Platzabfolge schafft Raum für unterschiedlichen Nutzungen. Darüber hinaus machen die Autor*innen Vorschläge, wie sich gemeinschaftliche Nutzungen im gesamten Ortsgebiet in bestehenden Gebäuden verteilen, oder durch Einbindung eine neue Rolle erhalten können.
Das Wohnkonzept basiert auf der Annahme, dass der privat genutzte Bereich jedes/r Einzelnen möglichst kompakt sein sollte und einzelne Funktionen gemeinschaftlich genutzt werden. Diese geteilten Nutzungen gelingen nicht nur innerhalb eines Gebäudes, sondern sind gebäudeübergreifend geplant. Dabei wird der Gedanke bis in den Grundriss des Neubaus sowie exemplarisch anhand des Umbaus von Bestandsgebäuden durchgeführt. Die Autor*innen bewerten einzelne Wohnungstypen hinsichtlich ihrer Privatsphäre und Flexibilität und machen außerdem einen Vorschlag für die Etappierung des Neubaus. In der architektonischen Ausformulierung schlägt man unterschiedliche Materialien vor, um den Grad gemeinschaftlicher Nutzung nach Außen ablesbar zu machen. Letztendlich wird der Projektvorschlag durch Einblicke in Lebenssituation möglicher Nutzer*innen beispielhaft illustriert.
Die konsistente und detaillierten Auseinandersetzung auf allen Maßstabsebenen sowie die klare und anschauliche Darstellung zeigen die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema. Das Projekt „Zusammen.Wachsen“ ist ein spannender Vorschlag für die Aufgabenstellung des Wettbewerbs und wurde in hoher Qualität professionell ausgearbeitet. Durch die Übertragbarkeit der dem Entwurf zugrundeliegender Parameter hat das Projekt Relevanz für viele ländliche Regionen.
Beteiligte
Technische Universität Berlin / Deutschland
- B.A. Karola Schaefermeier
- B.Sc. David Dietrich
- Schlagwörter:
Ideenwettbewerb »Landgut2050«
Ländlicher Raum